I. Koellreuter u.a.: Brot und Stadt

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Titel
Brot und Stadt.


Autor(en)
Koellreuter, Isabel; Unternährer, Nathalie
Erschienen
Basel 2006: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 33,50
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Marianne Honold, Brotmuseum Ulm

„Brot und Stadt“ wurde im Frühjahr 2006 anlässlich des 750-jährigen Jubiläums der Basler „Zunft zu Brotbecken“ und des 120-jährigen Jubiläums des Vereins der „Basler Begge“ veröffentlicht. Die beiden Autorinnen, Isabel Koellreuter und Nathalie Unternährer, haben jedoch weit mehr als eine rückblickende Würdigung der beiden Berufsorganisationen vorgelegt; es ist ihnen gelungen, eine Geschichte des Bäckergewerbes in Basel zu schildern, die gleichermaßen die Produktion, den Handel und den Konsum von Brot behandelt. Dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel, der sich in den letzten zwei Jahrhunderten mit bis dahin nicht gekannter Vehemenz vollzog und sich auch auf die Ernährungsbedingungen auswirkte, messen sie dabei besondere Bedeutung zu.

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung vieler Städte Europas rasch an. Die Menschen, die vom Land in die industriellen Ballungsräume zogen, um dort gegen Geldlohn zu arbeiten, versorgten sich immer weniger mit selbst hergestellten Nahrungsmitteln, sondern deckten ihren täglichen Bedarf durch den Einkauf beim Händler ab. Die Forschung markiert hier den Beginn der modernen Konsumgesellschaft. Doch während sich die Konsumforschung bisher eher der Betrachtung von Luxusgütern zuwandte, wurde immer deutlicher, dass für ein Verständnis der Alltagskultur eine Untersuchung der Gebrauchsgüter unerlässlich ist. Inzwischen widmen sich deshalb einige Studien verstärkt dem Einzelhandel, seinen Produkten und Konsumenten.1 Hier ist auch die vorliegende Arbeit einzuordnen, die unter anderem aufzeigt, wie sich Veränderungen im Bäckerhandwerk und im Brotkonsum gegenseitig bedingten und bedingen.

Bereits die ersten beiden Kapitel, die die Geschichte der Zunft zu Brotbecken und des Bäcker- und Konditorenmeister Vereins nachzeichnen, verdeutlichen, wie sehr ihre Geschichte eine Geschichte der städtischen Versorgung ist. Der Werdegang der Zunft lässt sich demnach nur gemeinsam mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt Basel nachvollziehen. In enger Verbindung mit den städtischen Behörden organisierte die Zunft seit dem Mittelalter die Herstellung und den Verkauf von Brot in der Stadt. Gleichzeitig prägte sie weite Teile des beruflichen und privaten Lebens der Bäckermeister und ihrer Familien. Erst mit der Durchsetzung der Gewerbefreiheit 1875 verlor die Zunft endgültig ihre politische Wirkkraft und zog sich auf ihre gesellschaftlichen Aufgaben zurück. Eine neue gewerbliche Interessensvertretung fanden die Basler Bäcker- und Konditorenmeister 1885 mit der Gründung eines eigenen Berufsverbandes. Angesichts der seit Aufhebung der Zunftprivilegien wachsenden Konkurrenz, war das zentrale Anliegen des Vereins die Regulierung der Brotpreise. Als zukunftsweisend erwies sich die Bildung einer Einkaufsgenossenschaft (1911) und die Einrichtung einer Reklamekommission (1932).

Das folgende Kapitel ist ganz den Bäckermeistersfrauen gewidmet, die in anderen Darstellungen des Handwerks, wenn überhaupt, nur am Rande behandelt werden. Voller Sympathie spüren Isabel Koellreuter und Nathalie Unternährer dem Arbeitsalltag der Bäckermeistersfrauen nach, die in den handwerklichen Betrieben bis heute vielfältige und unverzichtbare Funktionen zwischen Verkaufsladen, Backstube und Haushalt ausfüllen. Vor allem in Krisenzeiten übernahmen sie nicht selten die Leitung des gesamten Unternehmens. Aus einer solchen Krisenzeit heraus ist 1944 der Verein der Bäckermeistersfrauen in Basel entstanden, der sich nach dem Krieg vor allem mit Fragen der Aus- und Weiterbildung im Verkauf beschäftigte.

Im vierten und fünften Kapitel werden die Lebenswelten derer geschildert, die als Angestellte in den Bäckereien arbeiten. Lehrlinge, Gesellen, Verkäuferinnen und Austräger waren bis weit in das 20. Jahrhundert hinein sehr stark in die berufliche Hierarchie und den familiären Verband ihrer Betriebe eingebunden. Sieht man einmal von den Gesellen ab, die sich in Basel immerhin seit dem 17. Jahrhundert in eigenen Berufsvereinigungen organisierten, treten die Angestellten in den schriftlichen Quellen deshalb meist nur als Gegenstand von Bestimmungen, Beschwerden oder Verordnungen in Erscheinung. Durch die erneute Auswertung dieser Quellen und die Befragung verschiedener Zeitzeug/innen werden die Lebens- und Arbeitsumstände dieser Menschen den Leser/innen dennoch lebendig vor Augen geführt.

Hier wie in anderen Teilen des Buches sind Auszüge aus Gesprächen mit Zeitzeug/innen in die historische Darstellung eingeflochten. Die Schilderung gewinnt dadurch an Authentizität. Vor allem aber bewahrt sie so Alltagserinnerungen, die gewöhnlich nicht festgehalten werden. Leider sind die Interviews in den Fußnoten und im Quellenverzeichnis nur mit Namensnennung und Geburtsjahr der Zeitzeug/innen sowie dem Datum des Gesprächs belegt. Der Bezug der jeweiligen Person zum Bäckergewerbe lässt sich zwar meist aus dem Textzusammenhang erschließen, man sucht aber vergebens einen Hinweis darauf, nach welchen Kriterien die Gesprächspartner ausgewählt worden waren und ob den Interviews ein Leitfaden zu Grunde lag. Dies wäre Voraussetzung für eine weitergehende wissenschaftliche Auswertung.

Unter dem Titel „Maschinen und Genossenschaften“ wendet sich das sechste Kapitel ganz der Zeit der Industrialisierung zu. Die beiden Autorinnen weisen am Beispiel Basels anschaulich nach, wie sich Veränderungen im Arbeits- und Lebensumfeld auf die Versorgung der Bevölkerung auswirkte. Vor allem die Arbeiterschaft benötigte Grundnahrungsmittel wie Brot in großen Mengen und zu günstigen Preisen. Die genossenschaftliche Brotproduktion für den 1865 gegründeten Allgemeinen Consumverein (ACV) war nur eine Reaktion auf diesen wachsenden Bedarf. Etwas später entstanden in Basel zwei weitere Großbetriebe. Und auch das handwerkliche Bäckergewerbe musste, um konkurrenzfähig zu bleiben, technische Neuerungen nutzen und unterschiedliche Vertriebsformen erproben.

Ausgehend von einem neuen Verständnis von Ernährung, das die Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert entwickelte (Kapitel 6), wird im siebten und achten Kapitel ein großer konsumgeschichtlicher Bogen von der Mangelwirtschaft während des Zweiten Weltkrieges zur Überflussgesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts gespannt. In den Kriegsjahren übernahmen die Bäckereibetriebe wichtige Aufgaben in der Nahrungsmittelversorgung der Schweizer Bevölkerung. Dabei hatten sie mit der Knappheit an Arbeitskräften und Rohstoffen ebenso zu kämpfen wie mit unzähligen Vorschriften. Detailreich lässt sich nachlesen, wie sich all dies auf die Herstellung, den Verkauf und schließlich auf den Verbrauch auswirkte oder wie das dunkle, harte Kriegsbrot angesichts des Mangels noch einmal zum Inbegriff von Nahrung wurde. Der Brotkonsum ging in den 1950er- und 1960er-Jahren deutlich zurück, neue Produkte eroberten den Lebensmittelmarkt und veränderten die Ernährungsgewohnheiten grundlegend. Das Bäckereigewerbe passte sich auch diesem Wandel an, indem es sein Angebot stetig erweiterte und sich mit seinen Serviceleistungen auf zunehmend individualisierte Lebensstile einstellte. Die Darstellung reicht hier bis in die Gegenwart und erhellt die Wechselwirkung zwischen mannigfaltigen Konsummustern und der Produktpalette der Bäckereien.

Mit dem Epilog kehrt das Buch zu seinem Ausgangspunkt zurück. Beinahe im Gegensatz zu einem modernen Gewerbe, das nur durch Flexibilität seine Zukunft sichern kann, versteht sich die heutige Zunft als eine Einrichtung, die durch die Bewahrung ihrer Traditionen zur Identitätsstiftung in der Stadt Basel beiträgt.

Abschließend lässt sich festhalten, dass „Brot und Stadt“ dem doppelten Anspruch, der in den Geleitworten des Zunftmeisters und des Historischen Seminars formuliert wird, eine Geschichte des Gewerbes und des Brotes zu sein, gerecht wird. Auch bleibt bis hin zur Betrachtung unserer modernen Massenkonsumgesellschaft im Blick, was die Autorinnen am Anfang der Untersuchung betonen: „Die Geschichte des Brotes und der Basler Bäcker ist mit der Geschichte des städtischen Alltags und der Erfahrung von Mangel aufs Engste verwoben.“ (S. 13) Vor allem aber ist es ein Vergnügen, in dem schön gestalteten und reich ausgestatteten Band zu blättern: Jedem Kapitel ist ein thematisch passendes und mit einer kurzen Erläuterung versehenes Backrezept vorangestellt. Zusatzinformationen, Quellentexte und kleine Anekdoten sind immer wieder in die Darstellung eingefügt. Nicht nur durch eine eindrückliche Bildauswahl, auch sprachlich gelingt es Isabel Koellreuter und Nathalie Unternährer, den Leser/innen die Vergangenheit vor Augen zu führen. Dass bei der enormen Bandbreite von Themen manches unerwähnt bleibt, anderes nur in Umrissen erkennbar wird und Übergänge von einem Thema zum anderen nicht immer völlig schlüssig sind, ist nachvollziehbar. Es bleibt der Wunsch, dass zum Beispiel die Entstehung der Verbände von Bäckermeistersfrauen bald eine vertiefte und erweiterte Untersuchung erfährt.

Anmerkung:
1 Zum Beispiel: Spiekermann, Uwe, Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Einzelhandels in Deutschland 1850-1914, München 1999; Keller, Barbara, Von Spezerinnen, Wegglibuben und Metzgern. Lebensmittelhandwerk und Handel in Basel 1850-1914, Zürich 2001; Lummel, Peter; Deak, Alexandra (Hgg.), Einkaufen! Eine Geschichte des täglichen Bedarfs, Berlin 2005.